Hamburg: Wie der HVV bei Digitalisierung und Kundenorientierung versagt
Veröffentlicht am 20. November 2021 | Lesedauer: 13 Minuten
Seit Anfang April ist Anna-Theresa Korbutt die neue Geschäftsführerin des HVVs. Mit ihr als neuer Chefin des Verkehrsverbundes sollte sich eine Menge verbessern. Geschehen ist seither im Vergleich zu den Jahren zuvor auch eine ganze Menge. So bekam der HVV nicht nur ein komplett neues Erscheinungsbild mit neuem Logo, neuem Design und frischen Werbekampagnen, sondern auch neue und modernisierte Digital-Angebote wie eine neue Website und eine neue App. Doch so recht gelungen ist das aus Kundensicht nicht. Stattdessen verprellte man die Kunden gleich an mehreren Stellen.
Erst einmal aber einen Schritt zurück. Im Mai sprach Anna-Theresa Korbutt in einem Interview mit der Hamburger Morgenpost über ihre Pläne für die zukünftige Entwicklung des HVVs. Dabei ging es nicht nur um den Umgang mit der Pandemie oder den Hamburg-Takt, sondern sie verriet auch, dass man es den Kunden besonders einfach machen wolle, sich über Fahrten zu informieren und Tickets zu kaufen. Denn kein Kunde wolle eine Vielzahl von Apps nutzen oder ewig am Fahrkartenautomaten stehen.
Aus Kundensicht ist das sicherlich auch eine gute Sache. Dabei hat man in den letzten Jahren schon das Angebot für die Kunden durch neue Verbindungen und dichtere Takte verbessert und mit Projekten wie einem einheitlichen Fahrgastfernsehen in den U-Bahnen und S-Bahnen für . Im Vergleich zu anderen Städten wirkte das Angebot des HVVs dadurch bereits recht gut und zeitgemäß, wenngleich es an anderen Stellen natürlich dennoch Potential gab. Und so ist man in diesem Jahr gleich mehrere neue Projekte angegangen, um den HVV weiter zu verbessern.
Der neue Markenauftritt
Im Oktober folgte der erste große Schritt, der einen Umbruch beim Hamburger Verkehrsverbund darstellte. So präsentierte man einen komplett neuen Markenauftritt mit neuem Logo, neuem Design und einer neuen Website. Dadurch wirkte der HVV optisch direkt deutlich moderner und frischer.
Bei den Kunden kam dies jedoch gar nicht gut an. So gab es vor allem in den sozialen Netzwerken eine Menge Kritik, die vor allem auch darauf abzielte, dass mit dem radikalen neuen Design sämtliche Schilder und Hinweise im HVV-Gebiet ausgetauscht werden müssten und alleine die Kosten dafür derart hoch seien, dass man sie lieber in das Angebot und die Zuverlässigkeit hätte investieren sollen.
Insgesamt kam der neue Markenauftritt bei vielen Kunden damit zwar nicht besonders gut an, schadet den Kunden an sich jedoch erst einmal nicht direkt. Zumal eine Auffrischung des Auftretens nach vielen Jahren des bisherigen Auftritts durchaus auch langsam nötig wurde. Und wie sehr einem das neue Design am Ende dann gefällt, ist letztendlich noch eine Sache des jeweiligen Geschmacks.
Der Onlineshop
Kritischer sah es hingegen schon beim Onlineshop aus. Über diesen konnten Kunden bisher direkt auf der Website des HVVs Tickets kaufen. Der Onlineshop wurde allerdings vor einigen Monaten abgeschaltet. Stattdessen begrüßt die Nutzer an der Stelle des Onlineshops seitdem ein Hinweis, dass man an einer neuen Lösung arbeite. Ein konkretes Datum oder ein Zeitraum für die Rückkehr des Onlineshops nannte man nicht und auch bis heute gibt es noch keinen neuen Onlineshop, sodass die Kunden für den Fahrkartenkauf auf die HVV-Apps, die Fahrkartenautomaten, die Deutsche Bahn oder den Kauf direkt beim Busfahrer oder in einer der Servicestellen zurückgreifen müssen.
Fraglich ist dieses Vorgehen auch deshalb, weil auch andere große Unternehmen regelmäßig ihre IT-Systeme umbauen und austauschen. Um die Kunden dabei aber nicht zu verärgern oder zur Konkurrenz zu schicken, wird das neue System meist parallel zu dem alten System aufgebaut. Erst wenn das neue System dann reibungslos und fehlerfrei läuft, wird das alte System vom Netz genommen und den Kunden das neue System zur Verfügung gestellt, sodass es für die Kunden optimalerweise nahezu keine Unterbrechung gibt. Der HVV hat sich hingegen dafür entschieden, dass man den bestehenden Onlineshop mehrere Monate abschaltet, während man an einem neuen System arbeitet.
Die neue App
Weiter ging es vor rund einem Monat dann mit einem großen Update der beliebten HVV-App. Diese sieht nicht nur auf den ersten Blick komplett anders aus als die bisherige App, sondern wurde auch von Grund auf neu konzipiert und umgesetzt. Das frische Design wirkt dabei auch deutlich aufgeräumter und moderner. Allerdings hat die App ein massives Problem. Denn sie sieht nun zwar deutlich moderner aus, aber im Gegenzug sind zahlreiche Funktionen der alten App weggefallen, die von den Kunden regelmäßig genutzt wurden oder schlicht für die Nutzer zum Grundangebot einer solchen App gehörten. Zudem sind einige der wichtigsten und häufigsten Anwendungsfälle nun umständlicher geworden und erfordern mehr Klicks und Aufrufe als zuvor.
Das hat bei den Nutzern der App zu massiver Kritik geführt. So gibt es nicht nur in den sozialen Netzwerken bis heute täglich Beschwerden über die neue App, sondern auch in den jeweiligen App Stores von Apple und Google sind die Bewertungen rapide abgesunken. Bei Google Play erreicht die HVV-App zeitweise nur noch 1,4 von 5 Sternen, im Apple App Store schafft man es immerhin noch auf 3,5 von 5 Sternen.
Unabhängig von der Anzahl der Sterne sind die Bewertungen an sich jedoch ziemlich eindeutig. Denn dort wird von zahlreichen technischen Fehlern und vielen fehlenden Funktionen berichtet. So stürzte die App offenbar direkt ab, wenn man die Sprache auf Spanisch einstellte. Es fehlen außerdem die Möglichkeit eines Zwischenhaltes, Uhrzeiten der Zwischenhalte werden nicht mehr angezeigt, Verspätungen und Ausfälle werden nicht angezeigt und Baustellen und Sperrungen werden nicht berücksichtigt.
Hinzu kommt, dass es vor allem in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung der neuen App mehrere Totalausfälle gab. Dabei konnten über die App keine Tickets mehr gekauft werden oder die Fahrplanauskunft war über mehrere Stunden hinweg gar nicht nutzbar. Beide Fehler sind für eine App, die primär genau diese beiden Punkte als Kernfunktionalität bieten soll, natürlich fatal und führten auch zu dementsprechend vielen Beschwerden.
Mittlerweile wurde die neue HVV-App dadurch auch zum Thema im Verkehrsausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Dort mussten sich HVV-Vertreter der Kritik stellen und räumten ein, dass der Start der neuen App „maximal negativ“ verlaufen sei. Mittlerweile seien jedoch die Kinderkrankheiten abgestellt und die App laufe nun stabiler. Insgesamt soll die App auch mehr Nutzer als zuvor haben und der Online-Verkauf von Tickets neue Rekorde erreichen.
Für die Nutzer ist die Nutzung der App jedoch weiterhin ein Problem. So stürzen die Fahrplanauskunft und die Möglichkeit des Ticketkaufs über die App zwar nicht mehr so häufig ab wie zum Start der App, aber die zahlreichen Funktionen, die durch das Update weggefallen sind, sind auch weiterhin nicht vorhanden. Und so gibt es auch weiterhin täglich weitere negative Bewertungen in den App Stores von Google und Apple.
Die Hochbahn kündigte zwar mittlerweile an, dass die App noch weiterentwickelt werden soll und dann auch alte Funktionen wieder zurückkehren sollen, aber bisher gibt es noch kein entsprechendes Update und ein genauer Zeitplan für neue Funktionen ist bisher auch noch nicht bekannt.
Ticket-Angebote
Zum Kauf von Tickets in der HVV-App passen auch Ticket-Angebote wie die neue 10er Tageskarte, die für Kunden, die durch die Pandemie und das stärkere Home Office nicht mehr so häufig unterwegs sind, eine Alternative darstellen sollte und diese zurück in Bus und Bahn bringen sollte. Beworben wurde dieses neue Angebot mit „voller Freiheit“ und als „besonders günstig“. Doch so richtig frei und günstig ist man damit dann doch nicht unterwegs.
Denn die zehn Fahrten können nicht beliebig lange verfahren werden, sondern sie verfallen bereits nach 30 Tagen wieder. Somit muss man sich bereits beim Kauf sicher sein, dass man in den kommenden 30 Tagen an mindestens 10 Tagen im HVV unterwegs sein möchte. Denn ansonsten lohnt sich das 10er Tagesticket schnell nicht mehr. Für Hamburg AB kostet es beispielsweise 59 Euro. Im Vergleich zu zehn einzelnen Tageskarten, die derzeit 8,10 Euro kostet, spart man somit 22 Euro, was umgerechnet wiederum 2,7 Tageskarten entsprechen würde.
Im Vergleich dazu liegt eine Vollzeit-Monatskarte im Abo für den selben Geltungsbereich derzeit bei 92,40 Euro. Man bekommt somit für 33,40 Euro mehr ganze 20 weitere Tageskarten hinzu. Oder andersherum ist eine Vollzeit-Monatskarte rund ein Drittel günstiger als drei 10er Tageskarten. Bei einem Vergleich mit zwei Vollzeit-Wochenkarten, die nahezu das selbe kosten wie eine 10er Tageskarte, bringt das neue Angebot bei Nutzung der zehn Fahrten innerhalb von 14 Tagen keinerlei Vorteile zu den Vollzeit-Wochenkarten.
Somit lohnt sich die neue 10er Tageskarte eigentlich nur dann, wenn man beim Kauf bereits weiß, dass man in den nächsten 30 Tagen an mehr als acht Tagen im HVV unterwegs sein möchte, die sich aber nicht innerhalb von 14 Tagen befinden dürfen, und dass man an nicht mehr als 20 Tagen insgesamt unterwegs sein möchte.
Besonders problematisch wird es preislich dann, wenn man die 10er Tageskarte auch mit dem ProfiTicket vergleicht, das zahlreiche Pendler in Hamburg über ihre Arbeitgeber bekommen können, wobei dies auch nicht bei allen Arbeitgebern möglich ist. Denn dann wird die 10er Tageskarte gleich noch unattraktiver. So kostet das ProfiTicket (abhängig von den genauen Konditionen bei dem jeweiligen Arbeitgeber) meist nur etwa 20 Euro bis 30 Euro mehr. Dafür hat man dann allerdings wirklich komplette Freiheit und kann jeden Tag im HVV unterwegs sein ohne sich weitere Gedanken machen zu müssen und am Wochenende und an Feiertagen sogar unabhängig von den gebuchten Ringen im gesamten HVV-Gebiet.
Insgesamt ist das neue Angebot damit nur für eine sehr eingeschränkte Gruppe an Kunden wirklich interessant. Der allergrößte Teil der Kunden fährt hingegen mit einem Vollzeit-Ticket, einem ProfiTicket oder auch einzelnen Tageskarten deutlich besser, flexibler und günstiger als mit dem neuen Angebot des 10er Tagestickets. Und auch das bekam der HVV in den sozialen Netzwerken deutlich mitgeteilt. Denn viele Kunden haben dies ebenfalls festgestellt und kritisierten den HVV daraufhin deutlich.
Ein weiteres neues Ticket-Angebot des HVVs ist hvv Any. Dabei handelt es sich um ein Check-In-Be-Out-System auf der Basis einer neuen App, die im kommenden Jahr an den Start gehen soll. Dieses Angebot steht bereits seit ein paar Jahren im Raum. Jedoch mussten zunächst die technischen Grundvoraussetzungen geschaffen werden. Denn über Sensoren in den Bussen, Bahnen und den Bahnhöfen erkennt die App die Wege des Kunden und rechnet am Ende des Tages automatisch den günstigsten Preis für den Kunden ab, sodass dieser sich im Vorfeld keine Gedanken machen muss, ob sich für den jeweiligen Tag ein Einzelticket, eine 9-Uhr-Tageskarte oder eine Tageskarte anbietet.
Komplett an den Wünschen der Kunden orientiert hat man sich aber auch dabei wieder nicht. Denn für Kunden wäre natürlich eine Abrechnung des günstigsten Tickets für den ganzen Monat die beste Lösung. Stattdessen beschränkt man sich jedoch auf einen Tag, was auch einigen Kunden nach der Ankündigung des Angebotes auffiel. Eine schöne Sache ist hvv Any aber dennoch und wird zumindest für Gelegenheitsfahrer sicherlich auch eine gute Lösung sein, wobei man den eigentlichen Start des Angebotes natürlich noch abwarten muss.
Strategie?
Vier aktuelle Beispiele also, mit denen sich der HVV bei den Hamburger Kunden eher keine Freunde gemacht hat. Vor allem bei den Digitalangeboten bekommt man dabei immer eher den Eindruck, dass dahinter keine richtige Strategie zu stecken scheint oder sich diese nicht an den Kunden orientiert. Einen Ticket-Shop über mehrere Monate abzuschalten oder eine App zu veröffentlichen ohne diese zuvor mit echten Kunden zu testen,
Und wenn man dann noch einmal zurück auf das Interview der HVV-Chefin blickt und die dortigen Pläne, dass man es den Kunden so einfach wie möglich machen wolle und es keine Vielzahl von Apps geben oder man lange am Automaten stehen solle, wird es noch seltsamer. Schließlich hat man es den Kunden durch die Abschaltung des Onlineshops und die zusammengestrichene neue App eher schwieriger gemacht als vorher. Mit hvv Any kommt sogar noch eine weitere App hinzu, sodass der HVV alleine drei Apps für Fahrkarten anbietet. Und durch eine unzuverlässige App und die Abschaltung des Onlineshops hat man die Kunden zeitweise bewusst an Fahrkartenautomaten gezwungen, wo diese doch eigentlich nicht mehr so lange stehen sollten.
Gute Nachrichten
Insgesamt gibt es aber auch einige gute Nachrichten, was den HVV angeht. Denn gerade was den Ausbau der Infrastruktur und die Fahrzeugflotte angeht, geht es durchaus voran. So ist der erste Abschnitt der neuen S-Bahn-Linie 4 in Richtung Bad Oldesloe bereits im Bau, die ersten Arbeiten für die neue U-Bahn-Linie 5 können auch beginnen und auch die Erweiterung der U-Bahn-Linie 4 in Richtung Horner Geest ist schon im Bau. Hinzu kommt, dass für die S-Bahn weitere neue Züge der Baureihe 490 bestellt wurden, die Modernisierung der älteren Baureihen bald abgeschlossen ist und die Hochbahn nicht nur weitere neue U-Bahnen erhält, sondern in dieser Woche auch schon den 100. E-Bus begrüßen konnte. Weitere E-Busse sind dort aber auch schon bestellt und werden nach und nach eintreffen, sodass in ein paar Jahren keine Diesel-Busse der Hochbahn mehr in Hamburg unterwegs sein werden.
Und auch die Fahrgastinformation wird Stück für Stück besser. So bringt die S-Bahn an ihren Bahnhöfen neue Anzeigetafeln an, die S-Bahnen und U-Bahnen haben ein gemeinsames Fahrgastfernsehen bekommen und die Busse der Hochbahn erhalten ebenfalls nach und nach Monitore im Innenraum. Über all diese neuen Medien können Fahrgäste künftig über besondere Ereignisse, Sperrungen oder Umleitungen einheitlich informiert werden.
Fazit
Fest steht aber in jedem Fall, dass sich auch der Hamburger Verkehrsverbund weiterentwickeln muss und sich den Wünschen der Kunden anpassen muss. In den vergangenen Monaten ist das in Summe aber so gar nicht gelungen. Vielmehr wirkte es gleich an mehreren Stellen so, dass man sich pünktlich zum ITS Weltkongress als ein modernes und digitales Unternehmen präsentieren wollte, obwohl die Angebote in Wahrheit noch gar nicht so weit waren. So hat man lieber in Kauf genommen, dass die Kunden nachher unzufrieden sind
Für die kommenden Monate sollte man daher auf jeden Fall schnellstmöglich gegensteuern und die Wünsche der eigenen Kunden wahrnehmen. Dazu gehören zügige Updates der App, sodass diese stabiler läuft und wieder Funktionen zurück bekommt, die in der alten Version bereits vorhanden waren, aber auch die Rückkehr des Onlineshops und bestenfalls auch eine Anpassung von
Grundsätzlich sind viele der Projekte auch durchaus positiv. So hat die App in jedem Fall ein größeres Update benötigt und auch das gesamte Auftreten des HVVs wirkt nun deutlich moderner und zukunftsfähiger als zuvor. Jedoch macht es gerade das noch trauriger, da man dadurch sicherlich einen noch größeren Schritt gemacht und mehr Zustimmung erhalten hätte, wenn man die Kunden mitgenommen hätte und deren Wünsche in den unterschiedlichen Projekten stärker mit einbezogen hätte. Doch vielleicht lernt man daraus nun und geht in den nächsten Projekten anders vor.
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